Inside Rathaus: Steinerne Machtdemonstration • NEWS.AT

2023-01-05 18:26:40 By : Mr. sir su

Mit dem Wiener Rathaus demonstrierte das Bürgertum sein Selbstbewusstsein gegenüber der Monarchie. Wie mit Wiener Schmäh die Regeln des Kaisers umgangen wurde, warum das Rathaus schon "grün" vor den Grünen war und warum der Bürgermeister den Rathausmann so mag.

Der Wiener Bürgermeister blickt aus seinem Büro im Rathaus über die Ringstraße und den Volksgarten auf das Bundeskanzleramt und die Hofburg. Früher "auf Augenhöhe" mit dem Kaiser in der Hofburg und der habsburgischen Staatskanzlei, wie der aktuelle Hausherr Michael Ludwig betont. In den 1880er-Jahren, zur Zeit der Erbauung des neugotischen Gebäudes, war das wichtig für das Bürgertum. Und jedenfalls auf Augenhöhe agiert Ludwig als starker Mann der SPÖ auch heute im Machtgefüge zwischen dem heutigen Kanzleramt - wo 200 Jahre nach dem Machtmenschen Klemens Lothar Wenzel von Metternich heute Sebastian Kurz die Fäden zieht - und der Hofburg, wo Bundespräsident Alexander Van der Bellen in turbulenten politischen Zeiten den Überblick bewahrt.

Nach seiner "Lieblingsgeschichte" zum Wiener Rathaus befragt, erzählt Ludwig vom Rathausmann auf der Turmspitze. Nach den Regeln des Kaisers durfte kein Gebäude höher sein als die nächstgelegene Kirche, in diesem Fall die Votivkirche, die in Erinnerung an ein missglücktes Attentat auf Franz Joseph I. errichtet worden war. Bei 98 Metern war also Schluss, und Baumeister Friedrich Schmidt hielt sich daran. Die Bürger Wiens setzten allerdings mit dem Rathausmann noch eins drauf: Mit seiner Lanze ist der Mann in der Rüstung 5,40 Meter hoch. Das Rathaus überragt daher alles in der Innenstadt mit Ausnahme des 136 Meter hohen Stephansdoms.

Passend dazu: Was Sie bestimmt noch nicht über Wien wussten

Nach "Inside Hofburg" und "Inside Kanzleramt", zwei früheren News-Reportagen, durchstreifen wir das Rathaus vom Keller bis zum Turm, und Ludwig übernimmt den ersten Teil der Führung. Start ist sein Büro, das imposante Ausmaße hat. "Als US-Außenminister Mike Pompeo voriges Jahr in Wien war, hat mich der US-Botschafter so vorgestellt: 'Das ist der Politiker mit dem schönsten und größten Büro in Österreich.'" Unter Ludwigs Vorvorvorgänger Leopold Gratz wurde das Südbuffet, ein Repräsentationsraum neben dem Festsaal des Rathauses, zum Bürgermeisterbüro umgewidmet. Spiegelgleich auf der anderen Seite des Festsaals liegt das Nordbuffet, das nach wie vor bei Festivitäten und Bällen zugänglich ist und in dem man locker ein paar Dutzend Menschen unterbringen kann.

Auf beiden Seiten: Seidendamasttapeten, Palisanderholzdecken und verspielte bunte Luster, die an die Glasbläser von Murano denken lassen. Wie so vieles der Ausstattung des Rathauses wurden auch diese von Friedrich Schmidt als Gesamtkunstwerk entworfen. Im Original wurden sie von der böhmischen Gablonzer Glasindustrie hergestellt. Heute fertigt ein ebenso traditionsreiches Haus Ersatzteile an: Lobmeyr aus Wien. "Die bunten Gläser sind offenbar ein beliebtes Souvenir", sagt der Bürgermeister. Wobei der Schwund nicht in seinem Büro, sondern in den Prunkräumen stattfinde. "Bei Bällen und Veranstaltungen muss ich Aufpasser zu den Lustern stellen", erzählt später Gebäudemanager Stefan Novotny.

Jeder Bürgermeister hier agiert im Schatten großer Vorgänger. Immer wieder haben die Wiener Stadtchefs auch das Land und ihre Partei geprägt: Mit Ausnahme des Ständestaats und der Nazi-Zeit hatte das "Rote Wien" nach Ende der Monarchie ausschließlich Bürgermeister aus der SPÖ, die bei sozialem Wohnbau, Bildungs-und Gesundheitswesen oder Armutsbekämpfung Maßstäbe setzten. Ein paar Schritte vom Bürgermeisterbüro entfernt blickt im Stadtsenatssitzungsaal eine "Ahnengalerie" milde bis ernst hinab. "Die Bürgermeister werden immer erst aufgehängt, wenn sie tot sind. Wer zuletzt verstorben ist, hat den Ehrenplatz an der Frontseite des Saales", erklärt Ludwig. Wie schon zu seinen Lebzeiten dominiert auch der gemalte Helmut Zilk mit seinem Charisma den Raum. Die österreichische Künstlerin Maria Lassnig hat ihn mit überproportional großen, geöffneten Händen dargestellt, "die einerseits zeigen sollen, dass Zilk auf die Menschen zugegangen ist und - weil die linke 1993 bei einem Briefbombenattentat zerstörte Hand hier heil ist -dass er sich nicht vom Terrorismus in die Knie hat zwingen lassen", sagt Ludwig. Von wem er sich porträtieren lassen will?"Ich bin noch am Überlegen, es ist ja auch ein gewisses Statement, dass man damit abgibt", sagt er. Aber: "Mein Ehrgeiz ist groß, dass ich noch lange nicht häng im Stadtsenatssitzungssaal."

Der "Älteste" in der Reihe ist Jakob Reumann, der erste demokratisch gewählte Bürgermeister nach der Monarchie und "Erfinder" des Roten Wiens, dann kommt Karl Seitz, den Ludwig als Vorbild nennt: "Er hat ein Team gebildet, bei dem jeder in seinem Ressort in der Lage war, Großartiges zu leisten. Das habe ich auch versucht: höchste Qualität in den Vordergrund zu rücken und nicht nur persönliche Loyalität", sagt er mit Seitenblick zum Kanzleramt.

Nur ein Bürgermeister fehlt: Rudolf Prikryl war im April 1945 drei Tage lang im Amt, zu kurz für die Porträtmaler. Der überzeugte Sozialist kämpfte 1934 bei den Februarkämpfen und später bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Nach der Befreiung Wiens wurde er von der russischen Kommandantur als Übergangsbürgermeister eingesetzt. Als dann Theodor Körner übernahm, kehrte er wieder in seinen Beruf als Installateur zurück. Die Bürgermeister aus der Zeit der Monarchie hängen nebenan im Roten Salon, dessen Name nichts mit der SPÖ, sondern mit der Wandbespannung zu tun hat. Hier hat sich 1945 die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner zum ersten Mal zusammengefunden, denn das Parlament war schwer beschädigt. Die SPÖ ist hier 1945 wieder gegründet worden, erzählt Ludwig. Und er selbst hat 2018 im Roten Salon geheiratet. "Auch historisch", lacht er.

Mit rund 14.000 Quadratmetern verbauter Grundfläche ist das Rathaus das größte Gebäude an der Ringstraße. Die Entscheidung für den Standort auf dem damaligen Josefstädter Glacis fiel erst, als die Ausschreibung und der Architekturwettbewerb längst gelaufen waren, erzählt der Leiter der Wien Bibliothek, Gerhard Murauer. Davor waren andere Bauplätze und kleinere Gebäude geplant: gegenüber dem Stephansdom, wo heute das Haas-Haus steht, beim Stadtpark auf Höhe der Johannesgasse oder bei der Börse. Der damalige Bürgermeister Cajetan von Felder taktierte geschickt um einen attraktiveren Platz. Das Glacis war ein riesiger Aufmarsch- und Exerzierplatz für die Armee. "Im Winter wehte eisiger Wind, im Sommer war es eine Staubwüste", erzählt Murauer, "und durch das Artilleriefeuer bei Manövern sind die Fensterscheiben in der Josefstadt geborsten." Felder schrieb: "Die Bürger beginnen, an Nervenzerrüttung zu leiden."

Man dachte im großen Maßstab: Die heutigen Nachbarn am Ring, Parlament und die Universität, hätten um 90 Grad gedreht den Rathausplatz begrenzen sollen. Ein "Bürgerforum" hätte den Gegenpol zum "Kaiserforum" dargestellt, das Hofburg und Hofburgtheater bilden sollten. Der Kaiser winkte ab. "Sein" Forum sollte allerdings auch nie vollendet werden.

Der Architekt Schmidt, der auch Dombaumeister von St. Stephan war, war ein Visionär jener Bautechniken, mit denen "coole Städte" heute der Klimakrise trotzen wollen. Eine Umluftanlage, die frische Luft aus dem Rathauspark ansaugt und temperiert, funktioniert bis heute. Schächte und Zwischendecken, die er vor mehr als 140 Jahren geplant hatte, bringen Licht und (Büro-)Technik auf den Stand des 21. Jahrhunderts. "Das Schöne mit dem Zweckmäßigen zu verbinden, ist in diesem Gebäude nachhaltig gelungen", gerät Novotny ins Schwärmen und verweist auf "den ökologischen Charakter" von Holz und textilen Wandbespannungen: "Sie sehen hier nichts Ungesundes." 40 Steinarten habe Schmidt je nach Festigkeit gezielt eingesetzt. Er betrieb ein Studio, wo er mit Mitarbeitern Details wie Lüftungsgitter oder Buntglasfenster entwarf. Kein einziges dieser Fenster gibt es im Rathaus zweimal.

Ein besonderes Kunstwerk im Gesamtkunstwerk Rathaus ist der Gemeinderatssitzungssaal. Ursprünglich war er der einzige Raum mit elektrischem Licht, weswegen er erst 1885 in Betrieb genommen werden konnte. Dieses Licht kommt von einem Luster, der auf zwei Weltausstellungen - in Wien und Paris - gezeigt wurde: über fünf Meter Durchmesser ("Da geht ein Fiaker rein", sagt Novotny), 3.200 Kilogramm schwer, 260 Glühlampen. Bei Sitzungen musste er höhergezogen werden, weil die Abgeordneten zu schwitzen begannen. Gigantisch auch die Holzkassettendecke darüber: mit 22 Karat vergoldet.

"Großer Sitzungsaal" hieß der Saal in Zeiten des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus, denn man wollte alle Hinweise auf demokratische Strukturen tilgen. Umgekehrt verschwanden die Schatten der braunen Vergangenheit in den Jahren danach aus dem Rathaus. Dass es hier - und nicht nur am Heldenplatz - einen "Hitler-Balkon" gibt, wissen nur wenige. Zwei Bronzetafeln, die an den Auftritt des obersten Nazis erinnerten, wurden nach dem Krieg abgenommen und verschwanden, ebenso Kunstwerke aus dieser Zeit. Schon davor hatte übrigens Karl Lueger dem Rathaus ein "Nibelungenkonzept" verpasst. Bei Albin Egger Lienz' "Einzug von Kriemhild und Etzel", den Lueger beauftragte, weiß man, was daraus wurde: Das Bild hängt heute im Tiroler Landesmuseum. Vor dem Zugang zum Festsaal trotzt eine Tafel mit Ehrenbürgern der Stadt Wien - ein guter Teil in den letzten Jahren Juden, die von den Nazis vertrieben worden waren - der Vergangenheit.

Und tief unter diesen Spuren der Geschichte liegt im Tiefspeicher der Bibliothek auch das Erbe jener, die flüchten mussten: etwa Koffer von Hermann Leopoldi und Hugo Wiener, in denen sie das Wenige mit auf die Reise nahmen. Aber natürlich reichen die Schätze der Bibliothek weiter zurück. Gut geschützt bei 15 Prozent Sauerstoffgehalt - was einen Brand verhindern soll - und in säurefreien Kartons liegen hier Autographen von Franz Schubert und der kaiserlichen Familie, 1.400 Nachlässe, unter anderem von H. C. Artmann, Marcel Prawy und der jüngst verstorbenen Friederike Mayröcker. Auch die Baugeschichte des Rathauses ist gut dokumentiert, etwa jene drei Trinksprüche auf den Kaiser, die Monarchie und auf Wien, die Schmidt ausgebracht hat, als der Rathausmann aufs Dach gehoben wurde. Drei Mal warf der Architekt ein Glas vom Dach in den Hof. Die Legende sagt, beim Trinkspruch für Wien sei es ganz geblieben.

Nur wenige Menschen haben das Bild der Stadt Wien so geprägt wie Friedrich Schmidt: das akademische Gymnasium, die Othmarkirche in Wien Landstraße und viele Privathäuser hat er entworfen. Der Platz hinter dem Rathaus ist nach ihm benannt, sein Denkmal ist im Stephansdom, am Schmidt-Platz und auch im Gebäude zu finden. In der Turmhalle des Rathauses sind neben dem Grundstein des Baus übrigens auch jene Gemeinderäte mit Büsten und Porträts verewigt, die in der Rathaus-Baukommission saßen. Kaum vorstellbar, wie das Echo wäre, würden das Politiker heute tun. Dass die Baukosten damals fast doppelt so hoch waren wie veranschlagt - 14 Millionen Gulden, das sind heute etwa 124 Millionen Euro -, kommt einem hingegen bekannt vor.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 35/2021.

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