"Rust" in der Galerie Sprüth Magers: Die Asche der Airlines

2023-01-05 18:29:41 By : Mr. Admin Prettyhome

Galerie Sprüth Magers: Michail Pirgelis holt sein Material vom Flugzeugfriedhof der Mojave-Wüste.

Da steht ein Flugzeug im Raum. Zugegeben, in Teilen, die Michail Pirgelis aus den Wracks von Passagiermaschinen recycelt hat. Ganz reale Fundstücke, die ihre Herkunft allerdings nicht unmittelbar preisgeben. Es könnten abstrakte Bilder sein. Malerische Tableaus, die wie das klassische Tafelbild an der Wand hängen. Mit amorphen Flecken und zerlaufenden Formen, mit farbigen oder metallischen Partien, mal als Monochrom, mal mit grafischen Rastern.

Gleich am Eingang des geschickt komponierten Ausstellungsraums in der Galerie Sprüth Magers setzt Pirgelis ein eindrucksvolles Statement. Der erste Blick zielt sozusagen hinter die Kulissen der „Opaque Surfaces“ betitelten Schau. Regelmäßig arrangierte, kantige Stahlträger verleihen der über zwei Meter hohen Konstruktion im Hintergrund eine geradezu absurde Stabilität. Frontal betrachtet wird „American Black“ zur bildlichen Plattform, deren holzartige Oberfläche von vertikalen Linien strukturiert und mit Flicken aus Klebeband versehen ist, die an Pflaster erinnern.

Auch die Klein- und Mittelformate (20000-32000 €) legen ihren technoiden Ursprung an den Seiten offen und spielen zugleich mit allerlei Referenzen der Kunst des 20. Jahrhunderts; wecken Erinnerungen an Marcel Duchamps Ready Mades, an den abstrakten Expressionismus, die analytische Malerei à la Robert Ryman ebenso wie an die Skulptur des Minimalismus.

Mit sparsamen Mitteln transformiert der 1976 in Essen geborene und im griechischen Xanthi aufgewachsene Künstler Flugzeugschrott zu poetischen und rätselhaften Strukturen, die das Bildhafte betonen und gleichzeitig unterminieren. Verformt das aus Aluminium, Titan und Fiberglas bestehende Material, legt hier den silbrig glänzenden Untergrund frei, schleift dort etwas Farbe ab, lässt Reste eines Airline-Logos stehen, findet Rasterstrukturen, indem er Nieten betont oder aber entfernt, so dass rhythmische Punktelemente entstehen.

Er denke bildhauerisch, sagt Pirgelis, der sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf 2009 bei Rosemarie Trockel abgeschlossen hat. Und genau besehen, handelt es sich tatsächlich um Skulpturen im Wortsinn – bearbeitet er die ausrangierten Flugzeughüllen doch im Grunde wie der Bildhauer den Stein. Schneidet und fräst Details aus Tragflächen oder Cockpit, biegt Fragmente des Rumpfs zu planen Flächen.

Dies ist kein Bild, schwebt wie ein Motto auch über drei „Nature Study“ genannten Tafeln, die die Natur als Ko-Autorin evozieren. Die Spuren der Sonne, des Regens und der Stürme – alle Wetter haben sich im Laufe der Zeit auf dem Flugzeugfriedhof in der Mojave-Wüste, wo Pirgelis seinen Grundstoff seit 20 Jahren sammelt, in die Oberflächen eingegraben. Manche wie Wunden, andere wie schwimmende Inseln aus der Luftperspektive. Drei Großformate (65 000-100 000 €) entpuppen sich als Fußboden des Passagierraums mitsamt seinen Gebrauchsspuren und den Schienen für die Stuhlreihen. Wie eine zweite Wand auf dem Mauerwerk wird „Desert Star I“ zudem zur überdimensionalen, wiewohl praktischen Collage, auf der verschiedene kleinere Objekte installiert sind. Als Installation im Raum kann „Desert Star II“ von den Besucher:innen umrundet und von allen Seiten betrachtet werden. Skulptur eben.

Mit der 90-Grad-Drehung bringt Michail Pirgelis den Boden der Realität – der sie ja entstammen – an die Wand respektive in den Raum und hebt derart unsere Vorstellung von Gravitation aus den Angeln. Versetzt unser Gleichgewichtsgefühl in angenehmes Wanken. Unwillkürlich scheinen unsere Rezeptoren die Tableaus von der Wand wieder in die Waagerechte rücken zu wollen. Damit wir uns in alter Gewohnheit darauf bewegen können. Oder mit unserem horizontal imaginierten Körper an der Wand auf und ab laufen. Zu fliegen vermögen. Der uralte Menschheitstraum, dem Pirgelis mit seinen künstlerischen Loopings eine hintersinnig melancholische Wendung verleiht.

Parallel dazu führt die Ausstellung „Rust“ von der kalifornischen Wüste in die Industrieregionen des Mittleren Westens und Nordostens der USA. Mit Fotografien von Stephen Shore, LaToya Ruby Frazier sowie Bernd und Hilla Becher, die Einblicke in den Wandel des American Rust Belts mit seinen Landschaften, Menschen und Hochöfen von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart geben. Sprüth Magers, Oranienburger Str. 18; bis 20. August. Di–Sa 11–18 Uhr.

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