Rimowa: vom Kultkoffer zum Trend-Gepäck

2023-01-05 16:56:13 By : Mr. Victor Yu

Ein Kultkoffer mit sechs Buchstaben. Zu hirnen waagrecht oder senkrecht: R-I-M-O-W-A. Sogar Leute, die lieber engelsgeduldig Kreuzworträtsel lösen, als durch Flughafenterminals zu hetzen, kennen seinen Namen. Wenn es darum geht, sich Reisegepäck anzuschaffen, fallen einem zuerst Samsonite und Rimowa ein. Da weiss man, was man hat, und es kostet nicht gleich die Welt wie etwa ein Weekender von Gucci oder Prada oder eine Duffle-Bag von Tom Ford oder Louis Vuitton.

Stichwort Louis Vuitton: Der französische Luxusgüterkonzern LVMH hat Ende 2016 vier Fünftel der Firma Rimowa, deren Name an eine russische Spionin oder Primaballerina denken lässt, übernommen und diktiert nun, in welche Richtung es mit der Traditionsmarke gehen soll.

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Was machte Rimowa überhaupt so wertvoll? Es ist das Leichtgewicht unter den Edelmetallen: Aluminium, das chemische Element mit der Ordnungszahl 13. Aluminium erleichterte das Koffertragen spürbar. 1931 liess der Sohn des Firmen-Mitgründers Paul Morszeck, Richard Morszeck, die Marke Rimowa (für Richard Morszeck Warenzeichen) beim Reichspatentamt in Berlin eintragen. Ihren Hauptsitz hatte und hat die 1898 gegründete Firma, in ihren Anfängen eine Sattlerei, jedoch in Köln, damals noch Cöln.

1937 bereits, in den USA dominierte die Streamline-Moderne, entwickelte Rimowa den ersten Aluminiumkoffer, 1950 kam das typische, markenrechtlich geschützte Wiedererkennungsmerkmal hinzu, das Rillen-Design. Die parallel gefalzte Aluminiumstruktur diente ursprünglich zur Stabilisierung der dünnen Aussenverkleidung von Junkers-Flugzeugen, die Nähe zum Fliegen und zur Aviatik ist also tief verwurzelt in der DNA von Rimowa.

1972 trat in dritter Generation Richard Morszecks Sohn Dieter in die Firma ein. Er vertraute nicht mehr allein auf die Alu-Ikone, sondern gesellte ihr Ende der 1990er Jahre ein noch einmal ungefähr um ein Viertel leichteres Material bei: Polycarbonat. Polycarbonat verbesserte zudem die Stabilität der Reisekoffer.

2008 hatte Polycarbonat einen Anteil von zwei Dritteln der verkauften 400 000 Koffer erobert. «Stillstand ist Rückschritt», sagte Konfuzius. Ein Zitat, das bei Werbern und Consulting-Unternehmen auf ungeteilte Zustimmung stösst.

LVMH toleriert keinen Stillstand. Rimowa wurde deshalb einem Redesign unterzogen, das nicht auf ungeteilte Begeisterung stiess. Der Aluminiumkoffer, charakteristisch versehen mit Aufklebern, erworbenen Dellen, Kratzern und Schrammen, mochte ein schroffer Macho sein, aber einer, der sich von der Reisegepäck-Massenware auf den ersten Blick abhob. Doch für Nostalgie ist im Koffer kein Millimeter Platz, wenn der Verdacht aufkommt, sie sei vielleicht verkaufshemmend.

Aber warum ist die Nivea-Dose immer noch blau und weiss? Weil man ihren Inhalt von klein auf mit dem ikonischen Design gleichsetzt. Mit Rimowa verhält es sich ähnlich.

Man wolle «Mobilität neu denken», hiess es, nachdem LVMH achtzig Prozent der Firmenanteil für 640 Millionen Euro übernommen hatte. Muss denn immer alles unbedingt neu gedacht und erdacht werden, was sich jahrzehntelang bewährt hat? Die Konsumenten lieben gewisse Erzeugnisse so, wie sie sind: ihr Aromat, ihr Kägi fret, ihr Nivea oder eben ihren Rimowa-Koffer aus Aluminium, der sie auf vielen Reisen rund um den Globus begleitet hat.

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Im Zuge der Übernahme durfte sich auch Virgil Abloh, Creative Director bei Louis Vuittons Menswear und Chef bei Off-White, kreativ austoben. Das Resultat: ein transparenter Softie aus Hartplastik. Die darin zur Schau gestellte zerknüllte Wäsche grenzt nicht nur an Exhibitionismus, vielmehr überschreitet sie eine Grenze, indem sie das Private, Intime öffentlich macht und mehr Kunstprojekt ist als reisetauglicher Koffer. Alles andere als frisch gewaschene (Unter-)Wäsche ist eine visuelle Zumutung. Oder eine Einladung zum Diebstahl, falls der Inhalt potenzielle Diebe anspricht.

Vor Abloh ging Rimowa schon Kooperationen mit Fendi und Dior ein, die ebenfalls zu den vielen schönen Kindern und Adoptivkindern von LVMH zählen. Berühmt ist die Marke indessen für ihre Kooperationen mit zwei Partnern, deren Name weniger für Mode als für den modernen Lifestyle, der Mobilität tatsächlich einmal neu erdachte, steht: Lufthansa und Porsche. Die daraus entstandenen Sondereditionen sind legendär.

Die jüngste Kooperation, die den guten alten Alukoffer in der Ecke abstellen möchte, wagte Rimowa mit dem Londoner Trendlabel Chaos. Ob sich das Wagnis bezahlt macht, darf bezweifelt werden. Rimowa x Chaos inklusive Adressanhängern in Form von Schlaftabletten oder Spiegeleiern sieht aus wie verspätete, bei Claes Oldenburg abgekupferte Pop-Art.

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Die gute Nachricht: Fehlende Schrauben und Nieten, die sich davongemacht haben, werden von Rimowa nach wie vor ersetzt. Sie können also Ihren Alu-Oldie zum silbernen Vintage-Goldie aufhübschen lassen, ohne ihn vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Er wird es Ihnen danken und Ihnen noch viele Jahre treu dienen.

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